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"Putin, du gehst in die falsche Richtung!”
Interview: Der Standard (Fabian Sommavilla)
STANDARD: Gemessen an der Einwohnerzahl unterstützt Luxemburg Kiew militärisch stark. Wie hat sich Ihr Bild der Ukraine in den vergangenen zweieinhalb Kriegsjahren gewandelt?
Xavier Bettel: Wir alle glaubten, der Krieg dauere nur drei Tage. Die Balten und Polen hatten uns noch vor der Gefahr durch Russland gewarnt, wir haben sie aber nicht ernst genommen. Dann haben wir gesehen, dass die Ukrainer kämpfen und auch für unsere Freiheit kämpfen. Und ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem politischen Leben noch einmal sagen werde, dass wir mehr in Verteidigung investieren müssen. Dennnatürlich fehlt dadurch Geld für Soziales, Kultur und Gesundheit. Aber deren Frieden ist unser Frieden, und das hat nun Priorität. Wir haben bis jetzt bewiesen, dass wir entgegen Putins Hoffnung gemeinsam starksind.
STANDARD: Unsere Freiheit muss also stets aufs Neue erkämpft werden?
Xavier Bettel: Wir haben keine Alternative. Ich habe selbst versucht, den Dialog zu führen. Ich habe kurz nach Kriegsbeginn mit Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin lange Gespräche geführt. Nach jedem Telefonat mit Putin habe ich aber verstanden, dass er keinen Frieden wollte. Und nach Butscha war für mich sowieso "game over".
STANDARD: Auch die Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha sind schon wieder zweieinhalb Jahre her. Hatsich Ihr Bild Russlands nochmals verändert seither?
Xavier Bettel: Russland von innen durch Sanktionen zu ändern ist, wie zu erwarten war, nicht passiert. Wirtschaftlich schmerzt es die Russen aber natürlich. Die Isolation Russlands führte uns aber in eine Art bipolarer Situation,wo man für oder gegen Russland ist. Wir haben wieder Blöcke. Und die Russen und die USA lehnen jene wieIndien oder China ab, die sich dazwischen bewegen. Es gibt nichts mehr dazwischen.
STANDARD: Sie haben familiäre Kontakte nach Russland. Glauben Sie noch an die russische Opposition unddass sie unter diesem Regime Putin von innen noch etwas ändern kann?
Xavier Bettel: Es ist schwer, man weiß nicht immer, welche Nachrichten sie von außen noch erreichen. Russland ist heute alles andere als eine Demokratie, aber sehr stolz auf sein Land. Ich habe Putin, zu dem ich einen sehrguten Draht hatte, mehrmals gesagt: "Du gehst in die falsche Richtung. Wir werden uns nur mehr an deine Fehler erinnern." Und so ist es eingetreten, was schade ist, weil Russland eben nicht nur Putin ist. Es tut mir leid, wie viel Putin kaputt gemacht hat. Es herrscht mittlerweile eine Russophobie, sodass sich niemand mehrsagen traut, dass er Russe ist, was sehr schade ist.
STANDARD: Ihre Russland-Nähe wurde Ihnen immer wieder vorgeworfen. Auch in Österreich waren viele wirtschaftsnahe Politiker und Parteien nach 2014 immer noch zu sehr auf Schmeichelkurs mit Russland. Haben wir mittlerweile die richtigen Lehren gezogen?
Xavier Bettel: Nein, weil es ist immer wichtig, Kontakt zu Ländern zu halten. Russland wird es weiterhin geben. Russland bleibt ein großer Nachbar. Aber Russland ist derzeit eine Gefahr, und ich hoffe, dass Russlandwieder ein Partner wird. Als Politiker erwarten Wähler von mir, dass ich auf die Frage, wie wir dahin kommen, Antworten habe, aber ich muss aktuell sagen: Ich habe keine Antwort darauf, wie es weitergehen wird.
STANDARD: Sie betonen für sich und Luxemburg die Brückenbauerrolle, etwas, das Österreich auch gernemacht. Die Rolle der Vermittler nahmen zuletzt aber eher China, die Türkei und Katar ein.
Xavier Bettel: Wir können nur Brücken bauen, wenn beide bereit sind, auf die Brücke zu kommen. Auch mit Israel und Palästina habe ich sehr viel Gespräche, auch wenn es nicht immer meine öffentliche Rolle ist. Ich mache das diskreter als manch anderer. Ich weiß auch von Österreich, dass es hinter den Kulissen viel Diplomatie betreibt, ohne dass es am nächsten Tag auf Seite eins der Kronen Zeitung steht. Das ist Diplomatie statt Scheinwerferpolitik und wichtig: der Versuch, Partner im Hintergrund zur Vernunft zu bekommen. Tatsächlichhaben aber andere Player Rollen eingenommen, die wir in Europa auch verabsäumt haben einzunehmen.
STANDARD: Wo ist ein Frieden näher, in der Ukraine oder in Gaza?
Xavier Bettel: Ich habe auch da keine Antwort darauf, und das frustriert mich. Bei Russland wäre es jedenfalls einepolitische Entscheidung. Bei Israel/Palästina geht es vor allem aber auch um eine menschliche Dimension.
Da ist sehr viel kaputt. Die Versöhnung wird dort noch länger dauern. Ich probiere es den Israelis immer zusagen: "Das, was für euch noch erklärbar ist, ist für uns nicht mehr erklärbar." Man kann nicht von gezielten Angriffen sprechen, wenn über 40.000 Menschen gestorben sind. Das waren doch keine 40.000 Terroristen. Wie erkläre ich einem Enkel den Tod seiner Großmutter, die sicher keine Terroristin war?
STANDARD: Manche Forscher sprechen aktuell von einer neuen Terrorismuswelle in Europa, deren Angreifer immer öfter Bezug auf den Krieg in Gaza nehmen.
Xavier Bettel: Die Tat in Solingen wurde ja auch wieder vom "Islamischen Staat" für sich reklamiert. Das sindeinsame Wölfe. Das gabs, gibts und wirds immer geben. Früher waren es politisch motivierte Morde, heute handelt es sich mehr um Fanatiker. Das sind keine Muslime, das sind Terroristen. Und man darf nicht den Fehler machen zu sagen, dass alle Terroristen Muslime sind und alle Muslime Terroristen. Das sind Verrückte. Aber wir haben auch Rechtsextreme, das sind keine Muslime. Der Hass ist momentan extrem, die Gewaltbereitschaft hoch.
STANDARD: Wie gehen wir damit um?
Xavier Bettel: Wenn ich jetzt Vorstöße zu neuen Waffengesetzen höre... also bitte! Wollen wir gegen Küchenmesser, Teppichmesser auch vorgehen? Nein, wir müssen diesen Radikalen mittels unsererGeheimdienste beikommen. Sie müssen potenzielle Täter ausforschen und dann darauf reagieren. Das müssen wir machen. Da brauchen Einzelne auch keine Angst vor Überwachung zu haben, aber wir brauchendas, um die Gemeinschaft zu verteidigen. Wir brauchen Law and Order, vor allem aber eben Geheimdienste, die uns beschützen können.